
Dr. Thomas Menzel, Chefarzt der Klinik für Viszeral- und Gefäßchirurgie am KRH Klinikum Lehrte berichtet über einen besonderen Zusatzbefund während einer Darmoperation:
Der 43-jährige Patient stellte sich in unserer Sprechstunde mit einem Sigmakarzinom (Krebs im Schleifendarm) vor. Entsprechend der Leitlinien wurde eine ambulante Abdomensonografie vorgenommen, zudem wurde die Diagnostik durch ein Röntgen der Lunge und entsprechender Abnahme der Tumormarker ergänzt. Der Patient hatte einen männlichen Vornamen, Körperbehaarung, Stimme und das Genitale ließen keinen Zweifel am Geschlecht.
Im Operationssaal zeigten sich als Überraschungsbefund neben dem bekannten Krebsgeschwür ein komplett ausgebildeter Uterus sowie vollständige Eierstöcke, also weibliche Geschlechtsorgane. Nun standen wir vor der Frage, ob dem Patienten diese Situation der Intersexualität bekannt war. Wir erfuhren, dass er noch bei der Mutter wohnte, keine Familie gegründet hatte und selbst von diesem Zustand nichts wusste. In der Regel wird Intersexualität oder auch Hermaphroditismus bereits bei der Geburt festgestellt. Das heißt, das Geschlecht kann nicht eindeutig zugeordnet werden. Das Auftreten wird mit 1:5500 Geburten angegeben, circa 0,2 Prozent der Bevölkerung sind betroffen. Oft werden die Kinder aber bereits sehr früh diagnostiziert und operiert, um aus ihnen ein „richtiges Mädchen“ oder einen „richtigen Jungen“ zu machen.
Auf der Suche nach einem Experten für dieses Thema stießen wir auf Prof. Dr. Olaf Hiort an der Universitätsklinik Lübeck, der sich diesem Thema seit Jahren widmet und uns mit Informationsmaterial versorgte, um weitere psychologische Betreuung sicherzustellen. Es stand auch die Frage nach einer Entfernung der weiblichen Geschlechtsorgane im Raum. Die Entwicklung der Intersexualität kann genetisch bedingt oder auch hormonell gesteuert sein. Bei unserem Patienten stand zunächst die Therapie der Krebserkrankung im Fokus. Dennoch wollten wir dem Patienten auch uneingeschränkte Informationen über die während der Operation entdeckten weiblichen Geschlechtsorgane mitteilen.
Mit der Genderdiskussion, die ja zu gesetzlichen Regelungen im Personenstandsgesetz geführt hat, wurde auch die Eintragung als „divers“ möglich. 2019 gab es bundesweit 150 standesamtliche Eintragungen dieser Art. Die Menschen mit Intersexualität grenzen sich aber häufig von der Gruppe der Transsexuellen oder Transgender ab.
Transgender sind Menschen, die mit bestimmten Geschlechtsmerkmalen geboren wurden, sich aber diesen nicht zugeordnet fühlen. Diese können auch nichtbinär sein, das heißt keinem Geschlecht zugehörig.
Transsexuelle dagegen sind Menschen, die sich dem entgegengesetzten Geschlecht zugehörig fühlen. Die Geschlechtsidentität ist hier nur auf die beiden Pole ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ eingeschränkt.
Intersexuelle Menschen haben dagegen biologisch bedingt von Geburt an die Geschlechtsorgane beider Geschlechter. Hier geht es nicht um die persönliche Einstellung seinem Geschlecht gegenüber, sondern um eine anatomische Gegebenheit.
Hermaphroditismus (Zwitter) – man lernt die Diagnose im Studium. Dass ich diese Diagnose einmal in der Viszeralchirurgie stellen würde, hätte ich nicht gedacht. Diese Episode hat aber unseren Horizont erweitert und das Verständnis für die Genderdiskussion gestärkt.