Habilitation geschafft, jetzt ist Zeit zur Freude und zum Genießen: „In meiner neuen Heimat nennen sie mich Prima Dern“, sagt Dr. Solveig Lerch lächelnd. An einem spätsommerlichen Freitagnachmittag hält sie ihre Antrittsvorlesung an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Titel: „Mein Frühstücksei und das femoroacetabuläre Impingement“. Gekommen sind Familie, Freunde, Wegbegleiter*innen, natürlich auch Förder*innen und Türöffner*innen. Dr. Solveig Lerch strahlt. Im Anschluss an ihre Antrittsvorlesung verleiht ihr Prof. Dr. Torsten Witte von der MHH ihre Urkunde: Der neue Titel lautet „Privatdozentin“, fortan ist sie PD Dr. Solveig Lerch und alleinverantwortlich zur akademischen Lehre berechtigt.
Während des Medizinstudiums entscheidet sich Solveig Kessel, wie sie damals hieß, für eine Doktorarbeit in der Gynäkologie und promoviert hier. Doch mit Beginn der beruflichen Karriere weiß sie, dass es etwas Praktisches, möglichst Handwerkliches werden soll. Ihr Herz schlägt für das Fach Orthopädie und Unfallchirurgie. Sie schreibt viele Bewerbungen – und erhält Absagen. Fündig wird sie im Deutschen Ärzteblatt. In Nienburg wird in der Unfall- und Wiederherstellungschirurgie bei Dr. Friedrich Wilken ein*e Assistenzärzt*in gesucht. Sie bewirbt sich und bekommt die Stelle – als einzige Bewerberin, erzählt sie augenzwinkernd. Als Förderer und väterlichen Freund bezeichnet PD Dr. Lerch Friedrich Wilken heute, damals war er derjenige, der ihr die Chance gab, sich als Unfallchirurgin auszuzeichnen. „Du hast mich gefragt, ob ich das mit der Belastung schaffe. Die Antwort hatten wir schnell“, erzählt sie im persönlichen Teil ihrer Antrittsvorlesung.
Ihre Leidenschaft war geweckt. Nachdem sie in Nienburg erste wissenschaftliche Studien auf die Beine stellte, stand bald fest: Die nächsten Schritte sollen bei Prof. Dr. Oliver Rühmann, Chefarzt der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin am KRH Klinikum Agnes Karll Laatzen, zur Intensivierung von Forschung und Lehre sein.
Prof. Rühmann kann sich gut an die junge Dr. Solveig Lerch erinnern, fördert sie und sagt heute: „Das Erreichte ist aller Ehren wert. Allein das Verfassen von 18 Originalarbeiten in Fachzeitschriften muss hoch bewertet werden – jedes von ihnen ist dem Verfassen einer Doktorarbeit gleichzusetzen.“ Hinzu kommen etwa 30 Vorträge und mehr als zehn weitere wissenschaftliche Veröffentlichungen. Schon früh erkennt Prof. Rühmann ihre Exzellenz, beide entwickeln sich zu einem produktiven wissenschaftlichen Gespann. Im Jahr 2013 verleiht das KRH Region Hannover ihr einen mit 5.000 Euro dotierten Wissenschaftspreis. „Dr. Solveig Lerch hat Interesse an Wissenschaft und hat sich entschieden, wissenschaftlich tätig zu sein. […] Für Wissenschaft ist im Tagesablauf kein Platz – Wissenschaft findet in der Freizeit statt. Besonders hervorzuheben ist auch, dass sich Frau Lerch nicht nur ganz bewusst für die Wissenschaft, sondern auch für ihre Familie entschieden hat. Sie bewältigt den Spagat zwischen Beruf und Familie ausgesprochen gut und verfolgt zusätzlich ihre wissenschaftlichen Ambitionen“, betonte Prof. Rühmann in seiner Laudatio 2014. Schon damals erlangte PD Dr. Lerch mit ihren Untersuchungen und Veröffentlichungen, z. B. zur sonografischen Diagnostik des femoroacetabulären Impingements vom Cam-Typ (Diagnose einer speziellen Form des Engesyndroms der Hüfte mittels Ultraschall) und der Arthodese (operative Gelenkversteifung) der Schulter große Aufmerksamkeit in internationalen Fachkreisen. Regelmäßig präsentierte sie diese und folgende Ergebnisse in Fachvorträgen auf internationalen Kongressen. Über die Jahre hat sie vier Doktoranden auf dem Weg zur Promotion betreut, weitere drei begleitet sie momentan – darunter immer aufstrebende Kollegen des KRH.
Ihre Entscheidung, am KRH zu arbeiten und zu forschen, ist alles andere als selbstverständlich. Das betont Prof. Rühmann: „Sie hat sich nicht den leichtesten Weg ausgesucht.“ Umso bemerkenswerter ist ihre Leistung, die aber auch zeigt: Das KRH fördert wissenschaftliche Karrieren. Der Weg von PD Dr. Solveig Lerch kann dementsprechend als Vorbild für junge Ärztinnen und Ärzte dienen.
Am KRH Klinikum Agnes Karll Laatzen baut sie ihre Hüft-Expertise bei Prof. Rühmann auf, ihre Schulter-Expertise bei Dr. Thomas Berndt, Leiter des Departements Schulterchirurgie. Zu beiden hat sie heute ein freundschaftliches Verhältnis. Selbstverständlich, dass es sich beide nicht nehmen lassen, die Blumen zur Antrittsvorlesung persönlich vorbeizubringen.
Gern hätten Rühmann und Bernd sie in Laatzen gehalten, doch die Liebe siegte. Und so verlässt PD Dr. Lerch 2022 das KRH Laatzen und folgt ihrem Ehemann Matthias nach Jever. Vor Kurzem erst wurde das neu gebaute Haus bezogen. Ihre neue berufliche Heimat sind das Krankenhaus Wittmund und das MVZ Jever.
In ihrem täglichen ärztlichen Handeln ist es ihr wichtig, dass Patienten die Diagnose in einfachen Wörtern und mit prägnanten Bildern erklärt wird. So erklärt sich der Titel, den sie für ihre Antrittsvorlesung wählt. Anhand eines Frühstückseis macht sie den Zuhörern deutlich, was sich eigentlich hinter diesem schwierigen Wort „femoroacetabuläres Impingement“ verbirgt. So kann sie auch den Bogen zu den bildgebenden Verfahren nehmen und Optimierungsbedarf bei der Verordnung und Durchführung von MRT-Untersuchungen anmelden. Aus Überzeugung wirbt sie für die Ultraschalldiagnostik in ihrem Fachgebiet und zeigt, welche Möglichkeiten sie bietet. Was sie ihren Doktoranden mit auf den Weg gibt: Es lohnt sich, neugierig und kritisch zu bleiben.
Ihr nächstes Ziel: „Ich will jetzt erst mal mehr Mutter sein“, sagt sie lächelnd. Ihr aktuelle Hauptbeschäftigung in der Freizeit: Taxifahren.