Medikamente, die dem männlichen Organismus gezielt Testosteron entziehen, erhöhen die Heilungschancen von Patienten, die an Prostatakrebs leiden. „Diese Therapie beeinflusst das Wachstum von Prostatakrebszellen“, erklärt Dr. Joachim Stein, Chefarzt der Urologie am KRH Klinikum Großburgwedel. Allerdings hat die Behandlung auch Nebenwirkungen: Sie mindert die Libido, die Erektionsfähigkeit, die körperliche Leistungsfähigkeit verändert sich, weil das Verhältnis von Muskeln zu Fett sich ungünstig wandelt, auch eine verminderte Knochendichte sowie ein Schwächesyndrom (Fatigue) zählen zu den unerwünschten Effekten. Längst haben Studien bewiesen, dass Sport und Bewegung positive Auswirkungen auf Krebspatient*innen haben. Die Besonderheit an der Studie, zu der die Urologen Dres. Hafke, Kluck, Kirchhoff, Hahn und das KRH Klinikum Großburgwedel 50 bis 60 Patienten motiviert haben, ist die Länge des Beobachtungszeitraums. Sie läuft während der aktiven Phase, in der die Männer trainieren, ein Jahr. Und auch in dem Jahr darauf wird nach sechs Monaten und abermals nach zwölf Monaten untersucht, ob die Patienten profitieren. Die sogenannte Burgdorf-Studie wurde gemeinsam mit Prof. Dr. Freerk Baumann, renommierter Experte für Bewegungswissenschaften in der Onkologie, entwickelt.
Zwei verschiedene Sportgruppen
Die Männer aus der sogenannten Burgdorf-Studie sind in zwei Gruppen eingeteilt: Die eine beschränkt sich auf moderates Ausdauertraining. Hierbei betreiben die Teilnehmer zweimal wöchentlich jeweils 30 bis 45 Minuten Walking, ein Termin erfolgt in Obhut eines Physiotherapeuten. Die andere Gruppe macht zweimal wöchentlich Krafttraining in einer Reha-Einrichtung in Burgdorf: Dabei handelt es sich um ein zertifiziertes Zentrum für onkologische Trainings- und Bewegungstherapie, die Anleitung durch geschulte Sport- bzw. Physiotherapeut*innen erfolgt individuell und persönlich. Die Geräte, die von den Aktiven genutzt werden, sind hochwertig und gelten als Medizinprodukte. Dem vorgeschaltet ist eine Aufwärmphase von bis zu 15 Minuten auf Fahrradergometer, Crosstrainer oder Laufband, bei der 50 bis 60 Prozent der maximalen Herzfrequenz erreicht werden sollen. Zum Abschluss findet nochmals eine Cool-down-Phase an ähnlichen Geräten wie denen zum Aufwärmen statt. So weiß man aus früheren Studien, dass auch Ausdauertraining allein bereits positive Effekte hat, weil es antientzündlich wirkt. Gerade was die zweite Gruppe angeht, betont Dr. Joachim Stein, wolle man aber Schlüsse ziehen, ob sich Nebenwirkungen wie Verlust an Muskelmasse nicht vermeiden oder abmildern ließen. „Dafür muss man sich dann wirklich anstrengen und gegen Widerstände arbeiten.“ Erste Zwischenanalysen weisen auf positive Effekte hin: Gewichtsverlust, vor allem aber auch mehr Kraft schon nach drei Monaten. Noch können sich Teilnehmer über ihren Urologen melden.
Denn es gibt klar definierte Voraussetzungen: Der Start der Antihormontherapie sollte drei Monate vor Beginn des Trainings erfolgen, die Behandlung darf aber auch nicht länger als ein Jahr andauern. Außerdem ist eine Bedingung, dass die Teilnehmer tatsächlich gemeinsam mit einer der beiden Gruppen trainieren. Dr. Joachim Stein: „Anders geht es nicht, schließlich handelt es sich um eine kontrollierte Studie.“
Bewegung kontra Risiko
Es existieren inzwischen etliche Studien, die den Zusammenhang zwischen Sport und Krebs untersuchen. Prof. Dr. Jochen Wedemeyer, Ärztlicher Direktor und Chefarzt am KRH Klinikum Robert Koch Gehrden: „Zu wenig Bewegung scheint das Risiko etwa für Krebs an Speiseröhre, Darm oder Gebärmutter zu erhöhen.“ Bei stark übergewichtigen Menschen – und davon gibt es immer mehr – würde sich durch ungesunde Essgewohnheiten gepaart mit Unbeweglichkeit eine Fettleber entwickeln. „Und daraus kann Leberkrebs entstehen.“ Auch im Rahmen der Therapie und für die Zeit danach profitieren Krebspatient*innen von Sport. Prof. Wedemeyer: „Das ist für Brust- und bei Darmkrebs am besten nachgewiesen.“ Positiv wirkt die regelmäßige körperliche Betätigung, weil sie möglicherweise die Rückfallrate senken und damit die Überlebenszeit erhöhen kann. Durch Ausdauertraining würden Botenstoffe freigesetzt, die einen negativen Effekt auf die Tumorentstehung hätten. Krafttraining hingegen wirke Muskelabbau als Nebenwirkung einer Antihormontherapie entgegen. Auch wirke Sport stärkend auf Körper und Psyche. Prof. Wedemeyer: „Und das wiederum senkt die Abbrecherrate bei denjenigen, die sich einer anstrengenden Chemotherapie unterziehen.“