Gemeinsam mit Krankenhäusern aus der Stadt Hannover und im Umland hat die Niedersächsische Krankenhausgesellschaft (NKG) heute unter dem Motto „Die Krankenhäuser in Niedersachsen stehen vor der Zerreißprobe“ auf die massiv angespannte Lage der Kliniken im ganzen Land aufmerksam gemacht. Anhand von zwei LKW, die symbolisch ein Krankenhausbett auseinanderziehen, wurden die enormen personellen und finanziellen Belastungen dargestellt, denen die Krankenhäuser ausgesetzt sind.
„Die Situation der Krankenhäuser in Niedersachsen ist so angespannt wie nie zuvor. Zugleich sind die weiteren Aussichten äußerst bedrohlich“, betonte Dr. Hans-Heinrich Aldag, Vorsitzender der NKG, vor dem Neuen Rathaus in Hannover. „Wir appellieren eindringlich an die politisch Verantwortlichen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um Schaden von den Krankenhäusern, ihren Beschäftigten und nicht zuletzt den Patienten abzuwenden. Die Lage ist ernst und die Zeit drängt“, sagte Dr. Aldag in Anwesenheit von Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens. Bei der Veranstaltung in Hannover handelte es sich um den Auftakt zu einer landesweiten Aktion der niedersächsischen Krankenhäuser.
Ministerin Behrens zeigte Verständnis für die aktuellen Herausforderungen der Krankenhäuser. „Wir haben verlässliche und leistungsfähige Krankenhäuser, und das muss auch so bleiben. Denn im Mittelpunkt all unserer Bemühungen muss das Wohl der Patientinnen und Patienten stehen. Sie müssen bestens versorgt werden. Das ist der Gradmesser in der Gesundheitspolitik. Die Krankenhäuser sind in einer ernsten Lage. Die angespannte finanzielle Situation vieler niedersächsischer Kliniken wird durch die massiven Preissteigerungen und Probleme bei der Vereinbarung von Pflegebudgets für die Jahre ab 2020 verschärft. Ich halte eine kurzfristige finanzielle Unterstützung der Krankenhäuser für unabdingbar. Das betrifft vor allem die laufenden Betriebskosten. Für diese Betriebskostenfinanzierung ist der Bund zuständig. Ich habe daher Bundesminister Lauterbach bereits im Juni dieses Jahres um schnellstmögliche Umsetzung einer finanziellen Unterstützung der Kliniken, zum Beispiel durch einen Inflationsausgleich, gebeten.“
Das Land Niedersachsen habe die Investitionsförderung für die Krankenhäuser für 2022 und 2023 um 30 Millionen auf 150 Millionen Euro erhöht, so die Ministerin. „Damit sind bereits bewilligte, zeitkritische Großprojekte vorerst gesichert. Darüber hinaus haben wir mit dem novellierten Krankenhausgesetz eine gute Grundlage geschaffen, um die Krankenhausstruktur in Niedersachsen zukunftsfähig aufzustellen.“
Dr. Aldag betonte, dass sich die wirtschaftliche Schieflage der Krankenhäuser in Niedersachsen insbesondere durch die starken Kostensteigerungen für Energie, medizinische Produkte, Medikamente sowie Lebensmittel gegenwärtig bedrohlich zuspitzt. Aufgrund des starren Finanzierungssystems können Krankenhäuser diese Mehrkosten nicht in Form von Preiserhöhungen weitergeben. Parallel dazu haben die Krankenhäuser nach wie vor mit gravierenden personellen und wirtschaftlichen Belastungen infolge der Corona-Pandemie zu kämpfen. Seit dem ersatzlosen Auslaufen des Corona-Rettungsschirms im Juni werden die finanziellen Einbußen jedoch nicht mehr abgefedert.
Fachkräftemangel, überbordende Bürokratie sowie eine ungenügende Investitions- und reformbedürftige Betriebskostenfinanzierung belasten die Kliniken bereits seit Jahren, ohne dass eine Verbesserung absehbar ist. Im Gegenteil: Die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser verschlechtert sich zunehmend. Umfragen der NKG zufolge sind inzwischen mehr als drei Viertel der niedersächsischen Krankenhäuser mittel- bis langfristig in ihrer Existenz bedroht. In den Vorjahren traf dies auf rund zwei Drittel der Häuser zu.
„Die aktuelle Gemengelage ist für die Krankenhäuser existenzgefährdend. Ihnen fehlen infolge eines jahrelangen Substanzverzehrs die notwendigen Ressourcen, um mit Blick auf die gewaltigen Herausforderungen personell und wirtschaftlich handlungsfähig zu bleiben. Es ist eine gefährliche Illusion zu glauben, dass die stationäre Versorgung unter diesen Bedingungen künftig flächendeckend und in der gewohnt hohen Qualität gewährleistet werden kann“, warnte Dr. Aldag. „Nicht zuletzt angesichts einer erneut drohenden Pandemiewelle im Herbst und Winter ist jetzt kurzfristig ein Inflationsausgleich zur wirtschaftlichen Absicherung der Krankenhäuser erforderlich. Eine unkontrollierte Schließung von Krankenhausstandorten aufgrund wirtschaftlichen Drucks darf es nicht geben“, so der NKG-Vorsitzende.
Über akute Hilfsmaßnahmen hinaus muss nach Einschätzung der NKG mittelfristig das System der Krankenhausfinanzierung durch den Bund reformiert werden. Dieses setze Fehlanreize und hat den Krankenhäusern im bisherigen Verlauf der Pandemie Defizite beschert, die nicht mehr kompensiert werden können.
In Richtung des Landes Niedersachsen bekräftigte die NKG ihre Forderungen hinsichtlich einer dauerhaften Erhöhung der Investitionsmittel für Krankenhausbauprojekte. Die NKG begrüßte ausdrücklich, dass das Land inzwischen Schritte unternommen habe, um das Finanzierungsniveau in Zukunft anzuheben. Angesichts eines bestehenden Investitionsstaus von rund 2,5 Milliarden Euro für bereits geplante Baumaßnahmen von Krankenhäusern in Niedersachsen seien aber weitere Maßnahmen dringend erforderlich. Mit Blick auf die Investitionen für Krankenhäuser sei ein grundsätzliches Umdenken notwendig. „Investitionen in Krankenhäuser sind Investitionen in die Zukunft. Das gilt für eine moderne Krankenhauslandschaft und die erforderlichen Baumaßnahmen ebenso wie für die Digitalisierung und den Klimaschutz. Fest steht: Die Krankenhäuser können die hierfür notwendigen Mittel nicht aus eigener Kraft aufbringen“, unterstrich Dr. Aldag.
Vordringlich für die NKG sind zudem politische Weichenstellungen für eine bessere Personalausstattung. Die Pandemie habe klar vor Augen geführt, dass mit Blick auf die Versorgungssicherheit das Personal der limitierende Faktor ist. „Die Beschäftigten in den Krankenhäusern sind im dritten Jahr der Pandemie mit ihren Kräften am Ende. Wiederholte Phasen extremer Belastung haben angesichts dünner Personaldecken deutliche Spuren bei den Mitarbeitenden hinterlassen. Aufgrund der Corona-Sommerwelle und den damit einhergehenden Personalausfällen zeichnet sich auch jetzt keine Erholung ab. Mit Blick auf den Herbst ist das besorgniserregend“, sagte NKG-Verbandsdirektor Helge Engelke.
Hilfreich wäre es aus Sicht der NKG, wenn das Klinikpersonal von den umfangreichen bürokratischen Dokumentationspflichten entbunden werden würde. Die gewonnene Zeit könnte unmittelbar für die Patientenversorgung genutzt werden. Zugleich würde eine Rückbesinnung auf die ärztlichen und pflegerischen Kernaufgaben die Attraktivität der Berufsbilder steigern und somit dem Fachkräftemangel etwas entgegensetzen. Die Häuser erhielten zudem mehr Spielraum in der Personalplanung, wenn Pflegepersonaluntergrenzen erneut ausgesetzt werden.
„Besonders enttäuschend ist, dass das politische Versprechen mit der Einführung von Pflegebudgets für eine vollständige Finanzierung und damit bessere Arbeitsbedingungen der Pflegenden zu sorgen, bislang nur unzureichend eingelöst wurde“, betonte Barbara Schulte, Beiratsmitglied der NKG und Geschäftsführerin Finanzen und Infrastruktur des KRH Klinikums Region Hannover. „In der Folge bleiben die Krankenhäuser auf den Kosten für zusätzlich eingestellte Pflegekräfte sitzen.“ Verbandsdirektor Engelke ergänzte, dass aufgrund des kürzlich vorgelegten Referentenentwurfs für das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz sogar die Gefahr bestehe, dass für weitere Berufsgruppen in der Pflege die Refinanzierung entfällt „Das konterkariert sämtliche Anstrengungen der Krankenhäuser zur Bekämpfung des Fachkräftemangels. Wir erwarten, dass die Politik ihre Verantwortung für die Patientinnen und Patienten umfassend wahrnimmt. Sowohl was die personelle als auch die finanzielle Ausstattung der Krankenhäuser anbelangt“, so Engelke.
Gesundheitsministerin Daniela Behrens betonte, hinsichtlich des vorliegenden Entwurfes des GKV-Finanzstabilisierungsgesetz werde sich Niedersachsen im Bundesrat dafür einsetzen, dass die seitens des Bundes vorgesehen Regelungen zum Pflegebudget abgeändert werden. „Im Sinne einer Stärkung der Pflege muss eine Refinanzierung der anfallenden pflegerelevanten Personalausgaben über das Pflegebudget gelingen. Dabei müssen neben Pflegefachkräften auch andere Gesundheitsfachberufe berücksichtigt werden.“