Maximalversorgung bedeutet, für den Patienten alles zu geben. Wenn sie Erfolg hat, bessert sich sein Zustand und er kann die Klinik wieder verlassen. Was aber, wenn keine Hoffnung besteht? Zwei KRH Ärzte berichten.
Eine alte Dame, 88 Jahre, die bereits mehrfach eingeliefert wurde, zuletzt durch den Notarzt überstellt, die wiederbelebt werden musste – wie sieht ihre Perspektive aus? Ein Krebskranker mit Komplikationen nach der Tumor-OP, Heilung unmöglich, sein Zustand verschlechtert sich zusehends. Jan Schmieszek, Intensivmediziner am KRH Klinikum Siloah, erklärt: „Da frage ich mich, welche Hoffnung es noch gibt. Besteht die Chance, in ein selbstbestimmtes Leben zurückzukehren?“ Maximalversorgung, der konzentrierte Einsatz von Ärzten, Pflegekräften und Medizintechnik, ist gelebter Alltag auch in den Kliniken des KRH Verbundes. Dabei stoßen alle Beteiligten mitunter an Grenzen: Patienten, die auf die Behandlung nicht ansprechen. Ärzte, die laut Schmieszek, „obwohl alle Stellschrauben genutzt werden, keine Besserung erkennen“. Pflegefachkräfte wenden, waschen und versorgen entkräftete Erkrankte, selbst den Erfahrenen unter ihnen geht der Anblick nahe.
Hat es Sinn, weiterhin alles Menschenmögliche zu versuchen? Jan Schmieszek sagt: „Es ist kein Ziel, Leiden zu verlängern.“ In solchen Situationen klingelt dann manchmal das Telefon bei Kent Gürel. Der Chirurg am Klinikum Nordstadt gehört dem 15-köpfigen klinischen Ethikkomitee im KRH an: In dem Gremium sind sämtliche Standorte und viele Fachbereiche vertreten, eine ehrenamtliche Patientenvertreterin gehört dazu, auch eine Betreuungsrichterin. „So haben wir unterschiedliche Blickwinkel“, erklärt Kent Gürel. Das klinische Ethikkomitee sorgt immer dafür, dass zwei Vertreter vor Ort sind. Gemeinsam mit Ärzten, Pflegekräften und Angehörigen wird erörtert, ob eine Therapie fortgeführt, ausgeweitet – oder ob sie abgebrochen werden soll. Gürel verweist darauf, dass sich das Ethikkomitee an vier Prinzipien orientiert: der Autonomie beziehungsweise dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten, dem Wohl des Patienten, der Schadensvermeidung und einer gerechten Ressourcenverteilung.
Patientenverfügung sollte detailliert sein
Eine wichtige Rolle spielt, falls vorhanden, die Patientenverfügung. Experten wie Kent Gürel und Jan Schmieszek wissen aber auch, dass darin oft sehr allgemeine Willensbekundungen stehen. „Ich möchte nicht an Maschinen hängen“ hilft dem Behandlerteam nicht weiter. Abgesehen von der Tatsache, dass es sich eventuell nur um eine vorübergehende Phase handelt. Auch die Erklärung: „Ich will nicht künstlich ernährt werden“ verliere an Aussagekraft, wenn ein Schlaganfall überstanden sei und der Betroffene danach eine Schluckstörung habe. „Das ist nicht tödlich“, betont Kent Gürel. Eine Patientenverfügung solle darum viel detaillierter aufführen, was man in welcher konkreten Situation als Patient wolle und was man mit Bestimmtheit ablehne.
Wenn keine Patientenverfügung vorliegt, versuchen der behandelnde Arzt oder das Ethikkomitee gemeinsam mit den Angehörigen oder im Dialog mit dem Patienten, falls er ansprechbar ist, zu ergründen, was er sich wünscht, was er jemals zu solchen Fragestellungen geäußert hat und was seiner Haltung entspricht. Es gibt Schwerkranke, die eine weitere Therapie klar ablehnen, oder Angehörige, die den Patienten nur als lebensfrohen, aktiven Menschen kennen und die genau wissen, dass er ein Weiterleben angewiesen auf künstliche Unterstützung und ohne Chance auf Besserung niemals gewollt hätte.
Änderung des Therapieziels, weil keine Heilung oder Besserung möglich ist, kann heißen: keine Beatmungsmaschine mehr, keine Dialyse. Stattdessen richtet sich die Dosierungshöhe der Medikamente ab jetzt nach dem Palliationsgrad. „Kein Patient soll unter Schmerzen, Angst oder Luftnot leiden. Das können wir verhindern“, so Jan Schmieszek. „Es ist unser Auftrag, Menschen zu helfen und Leben zu retten. Aber es gibt auch den Punkt, an dem man loslassen muss – als Arzt und als Angehöriger.“