In den vergangenen Monaten wurde in Deutschland viel über sexuelle Übergriffe und sexualisierte Gewalt diskutiert und berichtet. Eine Studie des Bundesfamilienministeriums verdeutlicht die Dimension unter der öffentlichen Debatte. Demnach wird jede vierte Frau in Deutschland mindestens einmal im Leben Opfer von häuslicher Gewalt oder einer Sexualstraftat durch einen früheren oder den aktuellen Beziehungspartner.
Über 5.000 Betroffene von sexualisierter Gewalt wenden sich pro Jahr an die unterschiedlichen Hilfeeinrichtungen in der Region Hannover. Experten gehen aber von einer wesentlich höheren Dunkelziffer aus. Gerade bei Gewalt oder Sexualstraftaten in der Familie oder im Bekanntenkreis fürchten viele Opfer den Schritt zur Polizei oder zur Staatsanwaltschaft. Wenn die Betroffenen sich erst spät zu einer Anzeige entscheiden, ist es oft schon zu spät, um Beweise zu sichern, die eine Strafverfolgung ermöglichen.
Um diese Beweislücke zu schließen und den Opfern ein niedrigschwelliges Angebot zu unterbreiten, gibt es in Niedersachsen seit 2012 das Netzwerk „ProBeweis“. Das Projekt wurde vom Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) entwickelt und wird unterstützt und gefördert vom Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung.
Das KRH Klinikum Neustadt Im Rübenberge ist jetzt dem Netzwerk beigetreten. „Als Krankenhaus mit einem großen Einzugsgebiet, einer 24-stündig besetzten Notaufnahme, Kliniken für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Kinderheilkunde und vielen anderen Abteilungen, wollen wir Lebensbegleiter unserer Patientinnen und Patienten sein“, betont Prof. Dr. Michael Fantini, Ärztlicher Direktor des KRH Klinikums Neustadt am Rübenberge. „Dazu gehört es nach unserem Verständnis auch, professionelle medizinische und pflegerische Hilfe nach einem Gewaltverbrechen anzubieten und die Opfer zu unterstützen, indem wir helfen, Beweise zu sichern.“
Mit der professionellen Spurensicherung wird eine bessere Beweisführung vor Gericht ermöglicht. Mit „ProBeweis“ ist also eine frühzeitige verfahrensunabhängige Dokumentation von Beweisen möglich, um auch Jahre später Anzeige zu erstatten. „Unsere Team wird gerade geschult darin, worauf es genau bei den Untersuchungen zu achten hat, um tatsächlich gerichtsfest verwertbare Beweise zu sichern“, ordnet Dr. Bernhard Vieregge, Chefarzt der Medizinischen Klinik II und Koordinator für die Netzwerkarbeit im KRH Klinikum Neustadt am Rübenberge, den aktuellen Status in Neustadt ein. „Hier sind wir dem rechtsmedizinischen Institut der MHH dankbar, dass sie uns in der Vorbereitung und der Umsetzung so gut unterstützen.“
Einen Teil der Schulungen leitet Stefanie Hoyer vom Rechtsmedizinischen Institut der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und Betreuerin des Netzwerkes „ProBeweis“. „In den zurückliegenden Jahren konnten wir unser Netzwerk flächendeckend über Niedersachsen aufbauen. Unsere Erfahrungen zeigen, dass dieses Angebot zunehmend in Anspruch genommen wird. So ist es gelungen, in über 600 Fällen Beweise zu sichern.“
Außer dem Fachwissen stehen dem Team im KRH Klinikum Neustadt am Rübenberge spezielle Untersuchungskits zur Verfügung. Zu den Kits gehören beispielsweise Abstrichtupfer, Blut und Urinröhrchen. Ein Dokumentationsbogen führt die Mediziner durch die Untersuchung. Danach wird das Untersuchungskit versiegelt und anschließend im Institut für Rechtsmedizin fachgerecht aufbereitet. Dabei werden die Asservate für mindestens drei Jahre und die schriftliche Dokumentation für 30 Jahre gelagert.
Für viele Opfer steht nicht eine mögliche Anzeige im Vordergrund. Für sie ist es einfach wichtig, dass die Tat dokumentiert ist und die Beweise gesichert wurden. Diese Sicherheit ist oft eine gute Grundlage für eine Entscheidung, ob sie einen weiteren Schritt zu den Behörden gehen wollen. Darüber hinaus finden viele Betroffene über „ProBeweis“ den Weg zu anderen Hilfseinrichtungen und Beratungsstellen, die sie in ihrer Situation unterstützen können.
Weitere Informationen finden Sie unter www.probeweis.de.