Die Beschwerden sind vielfältig. Schwere, langanhaltende Durchfälle, starke Bauchschmerzen, Fieber, Blut im Stuhl, Krämpfe, allgemeine körperliche Schwäche oder mehrere dieser Beschwerden gleichzeitig. All diese Symptome können für eine chronisch entzündliche Darmerkrankung sprechen, betont Prof. Ahmed Madisch, Chefarzt der Klinik für Gastroenterologie, interventionelle Endoskopie, Diabetologie und Akutgeriatrie im KRH Klinikum Siloah. Die Krankheit, in der Sprache der Medizin abgekürzt „CED“ genannt, kann nicht vollständig geheilt werden, weil die Ursachen der Krankheit noch nicht ausreichend erforscht sind. Doch die Beschwerden können gelindert werden. Durch Medikamente und bei schweren Verläufen auch durch chirurgische Eingriffe.
Im KRH Klinikum Siloah treffen sich alle sechs bis acht Wochen Fachärzte aus Klinik und Praxen beim sogenannten „CED-Board“, um Patientenfälle mit komplizierten Verläufen gemeinsam zu beraten. Solche Fallkonferenzen sind zum Beispiel in der Krebstherapie seit Jahren etabliert, bei der Behandlung chronischer Darmentzündungen sind solche Konferenzen noch nicht überall Standard. Beim „CED-Board“ tauschen sich niedergelassene Internisten/Gastroenterologen mit Siloah-Chefärzten der Fachkliniken für Innere Medizin/Gastroenterologie, Chirurgie und Radiologie aus. „Wir sehen uns die Patientengeschichten genau an, betrachten zum Beispiel UItraschallbilder oder andere radiologische Befunde und legen dann nach ausführlicher Beratung gemeinsam fest, welche weitere Therapie geboten ist“, sagt Prof. Ahmed Madisch. Das CED-Board ist offen. Ambulant tätige Ärzte, die CED-Patienten versorgen, sind immer willkommen.
Sehr klar beschreibt eine Broschüre der Selbsthilfe-Vereinigung DCCV, was es bedeutet, ein CED-Patient zu sein: „Für unsere in Schüben auftretende Erkrankung kann Ihnen leider keine Ärztin und kein Arzt eine dauerhafte Heilung versprechen. Das wird für viele von uns bedeuten, dass wir darauf angewiesen sind, einige Medikamente über längere Zeiträume, immer wieder oder sogar dauerhaft einzunehmen. Der Vorteil ist aber, dass es auf diese Weise möglich ist, über lange Zeit (wie lange, weiß natürlich niemand) ein weitgehend beschwerdefreies normales Leben zu führen.“
Die zwei häufigsten Varianten der chronisch entzündlichen Darmerkrankung heißen Colitis ulcerosa und Morbus Crohn. Colitis ulcerosa (Colitis = Dickdarmentzündung, ulcus = Geschwür) ist eine chronische Entzündung des Dickdarms. Beim Morbus Crohn (morbus = Krankheit, Crohn nach Cyrill B. Crohn, er veröffentlichte die erste wissenschaftliche Beschreibung dieses Krankheitsbildes) kann im Unterschied zur Colitis ulcerosa der gesamten Verdauungstrakt betroffen sein.
Vorwürfe sind unbegründet
Birgitt Geile, 53, ist seit 35 Jahren an Morbus Crohn erkrankt. Die Barsinghäuserin arbeitet im Einzelhandel als Teilzeitkraft. Die Krankheit begleitet sie dauerhaft, aber sie hat gelernt, mit ihr umzugehen: „Man findet Wege, weiter am sozialen Leben teilzunehmen.“ Sie fährt zum Beispiel leidenschaftlich gern Motorrad und genießt das. Seit 20 Jahren ist sie mit großem Einsatz im Selbsthilfeverband DCCV ehrenamtlich tätig. Telefonberatung für neu Erkrankte oder deren Angehörige gehört dazu: „Es rufen Mütter an, die sich Sorgen machen, ob sie vielleicht durch falsche Ernährung mitverantwortlich seien, dass ihr Kind erkrankt ist.“ Solche Selbstvorwürfe seien unbegründet, sagt Geile.
Bei CED-Patienten ist unter anderem die Barrierefunktion der Darmschleimhaut gestört, so dass Darmbakterien die Darmwand passieren und so eine starke Immunreaktion auslösen können. Die Zahl der CED-Erkrankten in Deutschland wird auf rund 320.000 geschätzt, wobei viele junge Menschen betroffen sind.
Bis zur eindeutigen Diagnose einer CED-Erkrankung kann es lange dauern, da die Symptome nicht immer sofort und eindeutig auf die Krankheit hinweisen. Zu den wichtigsten Diagnosemethoden gehören Laboruntersuchungen von Blut und Stuhl, Ultraschalluntersuchungen und vor allem die Darmspiegelung.
Für die Behandlung der Erkrankung steht eine ganze Reihe von wirksamen Medikamenten zur Verfügung. Am häufigsten kommen dabei entzündungshemmende Präparate, darunter auch Cortison, in Betracht. Wirkt Cortison nicht oder um dessen längere Gabe zu vermeiden, kommen sogenannte Immunsuppressiva zur Anwendung.
Chirurgische Therapie ist eine Option
Eine chirurgische Therapie wird dann nötig, wenn es Komplikationen gibt. „Das sind in erster Linie Passagehindernisse im Darm, so genannte Stenosen, darüber hinaus die Ausbildung krankhafter nicht vorbestehender Verbindungen zwischen einem inneren Hohlorgan und anderen Organen oder der Körperoberfläche, so genannten Fisteln, sowie Veränderungen, die in die Richtung bösartiger Endartungen gehen“, erläutert Dr. Martin Memming, Chirurgie-Chefarzt im KRH Klinikum Robert Koch Gehrden. Dabei ist ein erhöhtes OP-Risiko typisch für die Grunderkrankung: „Als direkte Komplikationen können Wundheilungsstörungen, auch im Inneren des Körpers auftreten. Deren Ausmaß kann vielgestaltig sein, es können sich so genannte Abszesse bilden oder aber erneute Fisteln“, erklärt Dr. Memming. Muss ich als Patient damit rechnen, mehrmals operiert zu werden zu müssen? „Ja“, sagt der Gehrdener Chefchirurg, „das ist nicht selten, dass Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen mehrfach in ihrem Leben mit Komplikationen konfrontiert sind. Es gibt aber auch Patienten, die mit einer einmaligen Entfernung eines Dünndarmanteils zumindest von den Chirurgen Ruhe haben.“ Entscheidend sei es, dass die Zusammenarbeit von Chirurgen und Internisten gut funktioniert, damit der Patient ein optimales Angebot erhält.