Seit dem 8. August 2017 gibt es eine über das Internet einsehbare öffentliche Version des Online-Systems „IVENA“. Was das genau ist und wie es funktioniert, stellten heute die Region, die Feuerwehr und die an der Arbeitsgemeinschaft IVENA beteiligten Krankenhäuser der Öffentlichkeit vor. So etwas geht am besten mit einem Beispiel: Aus Hemmingen geht über die Notrufnummer 112 in der Regionsleitstelle ein Notruf ein. Die Anruferin berichtet über einen Patienten mit akuten „Herzschmerzen und Luftnot“. Die Regionsleitstelle alarmiert einen nahegelegenen Rettungswagen und zusätzlich ein Notarzteinsatzfahrzeug. Die Notärztin diagnostiziert im EKG einen akuten Herzinfarkt und erfragt in der Regionsleitstelle die verfügbaren Kliniken mit einem „Herzkatheter“ und Intensivbehandlungsmöglichkeit. Den Überblick über Ausstattung und Auslastung der Kliniken hat die Leitstelle dank der Software IVENA sofort auf dem Bildschirm und kann danach auswählen, welches Krankenhaus angesteuert wird. Über IVENA wird zudem die entsprechende Klinik voralarmiert. Zusätzlich kündigt die Notärztin den Patienten beim diensthabenden Kardiologen direkt an. Die Klinik bereitet sich schon während der Anfahrt der Rettungsmittel vor, und der Patient wird vom Rettungsdienst nun direkt im Herzkatheter-Untersuchungsraum übergeben: Lückenlos und ohne Zeitverzögerung beginnt die lebensrettende klinische Diagnostik und Therapie.
Dank der Softwarelösung IVENA hat die Regionsleitstelle das jetzt alles im Blick. Das heißt: Rettungswagen werden grundsätzlich in die Kliniken geschickt, die zum jeweiligen Zeitpunkt - als ein wichtiger Zuweisungsfaktor – über die besten Versorgungskapazitäten verfügen. Belastungen der Notaufnahmen werden frühzeitig visualisiert. „Ein Riesenfortschritt“ – darin sind sich alle Beteiligten einig. Das System führe zwar nicht dazu, dass das Patientenaufkommen geringer werde. Notfallpatienten könnten jedoch besser gesteuert und so schneller versorgt werden. „Durch die Rettungskette vom Notruf bis zur Klinik“ wird eine optimale Versorgung der Notfallpatienten ermöglicht und gesichert“, sagt Dr. Andreas Flemming, Ärztlicher Leiter Rettungsdienst der Landeshauptstadt Hannover.
So wie in dem Beispiel mit dem Herzkatheter gibt es in IVENA einen Überblick über alle relevanten Fachgebiete und Funktionseinheiten. Dies umfasst unter anderem die Innere Medizin mit allen Subspezialisierungen wie Kardiologie oder Gastroenterologie, die Unfall- und Allgemeinchirurgie, die Neurochirurgie, Neurologie, Urologie, Gynäkologie, Intensivstationen, Schockräume, Endoskopie, Herzkatheterlabore, CT- und MRT-Einheiten sowie die Stroke-Unit.
In Hessen ist IVENA bereits flächendeckend eingeführt. In Niedersachsen waren Landeshauptstadt und Region Hannover mit ihrem gemeinsamen Pilotprojekt nach dem Heidekreis die ersten Nutzer. Insgesamt 15 Kliniken aus der Region Hannover haben sich angeschlossen: die MHH, die sieben somatischen Krankenhäuser der KRH GmbH, Diakovere mit drei Häusern sowie das Kinder- und Jugendkrankenhaus AUF DER BULT, das Clementinenhaus, das Vizenzkrankenhaus und die Paracelsus-Klinik. Das IVENA-Projekt Hannover hat die meisten angeschlossenen Standorte im Vergleich zu anderen Regionen in Niedersachsen. „Früher haben die einzelnen Krankenhäuser die Leitstelle per Fax informiert, wenn Stationen stark belastet oder zum Beispiel wegen Umbaus geschlossen waren“, sagt Dr. Andreas Flemming. „Jetzt hat die Leitstelle alles auf dem Schirm – im wahrsten Sinne des Wortes.“
Das gilt auch für die Notaufnahmen der hannoverschen Kliniken: Auf Bildschirmen wird angezeigt, welche Rettungsmittel auf dem Weg zum Standort sind, wann sie eintreffen und wie dringend die Behandlung ist. Bei Patienten mit höchster Dringlichkeitsstufe rufen Notarzt bzw. Notärztin oder Notfallsanitäter zudem an, um die Versorgungskette zur lückenlosen Weiterbehandlung abzusichern. „IVENA schafft eine deutliche Transparenz der aktuell vorhandenen Versorgungskapazitäten“, erklärt Dr. Jens Albrecht, Ärztlicher Direktor des Vinzenzkrankenhauses, Leiter der Zentralen Notaufnahme und Sprecher der Kliniken in der AG IVENA. „Aus Sicht der Kliniken hat es untereinander zu einer verbesserten Kommunikation geführt, die letztendlich der Patientenversorgung zugutekommt.“
Mit der Anschaffung von IVENA war auch die Absicht verbunden, eine öffentliche Ansicht ins Internet zu stellen. Das wird jetzt umgesetzt: Künftig haben auch Patientinnen und Patienten die Möglichkeit, einen Teil der Daten einzusehen – im Sinne höherer Transparenz. Grundsätzlich gilt: Wenn die Situation nicht lebensbedrohlich ist, erst zum Hausarzt oder ärztlichen Bereitschaftsdienst! Der entscheidet dann, ob eine Abklärung seines Verdachtes in einem Krankenhaus notwendig ist. Mit einem Vorurteil räumt Dr. Flemming in dem Zusammenhang auch auf: „Notaufnahmen werden grundsätzlich nicht abgemeldet oder gar geschlossen.“
Sieben Fragen und sieben Antworten zu IVENA
Wie funktioniert das System?
Die Online-Plattform IVENA ist ein Tool, das in Echtzeit die verfügbaren Kapazitäten in den 15 angeschlossenen Kliniken in der Region Hannover ausweist. Es vernetzt Kliniken, Leitstelle und Rettungsdienste. Die Regionsleitstelle Hannover kann so Patientinnen und Patienten indikations- und dringlichkeitsgerecht in die geeigneten Behandlungseinrichtungen zuweisen und die Kliniken vorab über die Ankunft neuer Patientinnen und Patienten informieren. Das gelingt in 95% der Fälle, in denen Kranke und Verletzte mit dem Rettungsdienst in die Klinik gebracht werden. Im Regionsgebiet verzeichnet die Regionsleitstelle rund 120.000 Zuweisungen über den Rettungsdienst jährlich.
Warum ist die Einführung von IVENA gerade in der Region Hannover von besonderer Bedeutung?
In Hannover herrscht zudem die besondere Situation im Vergleich zu anderen niedersächsischen Regionen, dass hier mehrere hochspezialisierte Kliniken und Maximalversorger liegen, die nicht nur Patientinnen und Patienten aus den Nachbarbereichen, sondern auch aus dem gesamten Land Niedersachsen aufnehmen und behandeln. Aus diesem Grund hat die Projektgruppe IVENA Hannover eine Vorreiterrolle bei der landesweiten Einführung eines interdisziplinären Versorgungsnachweises übernommen und arbeitet dabei auch an der Weiterentwicklung des Systems auf Landes- und Bundesebene mit. In Niedersachsen arbeiten aktuell bereits 58 Kliniken mit diesem System.
Wer ist an dem Programm in der Region Hannover beteiligt?
Stadt und Region Hannover als Rettungsdienstträger, KRH Klinikum Region Hannover mit sieben Kliniken, die Medizinische Hochschule Hannover Diakovere mit Henriettenstift, Friederikenstift und Annastift, das Kinder- und Jugendkrankenhaus AUF DER BULT, das DRK-Krankenhaus Clementinenhaus, das Vinzenzkrankenhaus sowie die Paracelsus-Klinik. Welche Erfahrungen haben die Beteiligten in der Pilotphase gemacht? Mit IVENA erhalten die Rettungsdienste der Region und der Landeshauptstadt Hannover in Echtzeit notwendige Informationen über verfügbare und für die Erkrankung oder Verletzung des Patienten geeignete Versorgungskapazitäten der regionalen Krankenhäuser. Vor der Systemeinführung mussten solche Fragen zeitraubend per Telefon geklärt werden. Die Notfallkommunikation zwischen der Leitstelle, dem Rettungsdienst und den Krankenhäusern wird erleichtert und mehr Transparenz über Kapazitäten geschaffen. Durch die qualifizierte und schnelle Zuweisung der Leitstelle partizipieren in erster Linie die Patientinnen und Patienten von diesem sektorenübergreifenden Versorgungsprozess. Aus Sicht der Kliniken hat sich IVENA bewährt. Die Kliniken können frühzeitig sehen, ob und wann Patienten sich durch den Rettungsdienst auf dem Weg zu ihnen befinden, welche Verletzung oder Erkrankung wahrscheinlich vorliegt und welchen Schweregrad diese Erkrankung oder Verletzung hat. Dies hilft, die notwendigen Behandlungsprozesse vorzubereiten und im Patienteninteresse möglichst zeitnah umzusetzen. Ein Nebeneffekt ist, dass sich alle teilnehmenden Kliniken in der Region Hannover intensiver miteinander vernetzt haben. Von dieser Vernetzung werden die Patientinnen und Patienten über Jahre profitieren.
Warum waren die Daten nicht von Beginn an für Bürgerinnen und Bürger einsehbar?
Eine öffentliche Ansicht war von Anfang an geplant. Allerdings haben sich die Beteiligten für eine mehrstufige Einführung von IVENA entschieden. Grund war die Vielzahl der Beteiligten: sieben Krankenhausträger mit insgesamt 15 Häusern. In ganz Niedersachsen gibt es keine so vielfältigen Strukturen in der Gesundheitsversorgung. Zunächst mussten die innerklinische Versorgungsprozesse auf die Softwareanforderungen abgestimmt, vereinheitlicht und adaptiert werden. Im zweiten Schritt wurden Patientenzuweisungscodes eingeführt, was abermals dazu führte, dass Stammdaten und Prozessabläufe in den Kliniken angepasst werden mussten, um auf Grundlage einer plausiblen und validen Datenbasis eine erstmalige und einheitliche Analyse der Datenlage für die Kliniken zu erreichen. Mit dem Freischalten der Daten für Bürgerinnen und Bürger beginnt am 8. August 2017 die dritte Phase. Für die Zukunft ist geplant, im Rettungsdienst mit mobilen Datenerfassungsgeräten zu arbeiten und ein Modul zur Bewältigung von Großschadenslagen zu schaffen.
Kann IVENA helfen, die Probleme überfüllter Notaufnahmen und abgemeldeter Stationen zu beheben?
Nein, IVENA kann die Patientenströme, die die Kliniken aufsuchen, insgesamt nicht beeinflussen. Nach Einschätzung der Kliniken erreichen lediglich circa 40 Prozent der Patientenströme die Notaufnahmen über den Rettungsdienst. Die anderen Patientinnen und Patienten kommen eigenständig. Die Regionsleitstelle hat durch IVENA aber die Möglichkeit, die rettungsdienstlichen Patienten nach Behandlungsdringlichkeit und unter Berücksichtigung des Gesamtsystems in Echtzeit in verfügbare und geeignete Fachbereiche der Kliniken gezielter zuzuweisen und damit eine gleichmäßigere Belastung der Klinikkapazitäten über den Steuerungsprozess der Regionsleitstelle zu erreichen.
Warum ist die „öffentliche Ansicht“ von IVENA sinnvoll?
In Hannover herrscht die besondere Situation im Vergleich zu anderen niedersächsischen Regionen, dass hier eine mehrere hochspezialisierte Kliniken liegen, die auch Patientinnen und Patienten aus den Nachbarregionen aufnehmen und behandeln. Hier ist es sinnvoll, dass benachbarte Leitstellen, Rettungsdienste oder auch niedergelassene Mediziner einen Eindruck von der aktuellen Lage in den betreffenden Abteilungen haben. Ob die Plattform auch von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten in der Region Hannover genutzt werden wird, wenn Sie eine Einweisung planen oder vornehmen, kann noch nicht gesagt werden.